CORONA GRENZENLOS IM BLICK

Barbara aus den USA über die aktuelle Situation im Zusammenhang mit den Wahlen

Wie beurteilst du die aktuelle Sitation im Hinblick auf die anstehenden Wahlen?

Es sind noch zwei Tage bis zu den Wahlen in den USA. Mein Angst- und Sorgenpegel geht durch die Decke. Ich fürchte, Donald Trump wird wiedergewählt werden. Ich fürchte, wir haben noch vier weitere Jahre mit Chaos und Korruption. Ich fürchte, dass es 2020 so sein wird wie schon 2016- ein qualifizierter Kandidat gewinnt nach Wählerstimmen, aber der unqualifizierte Kandidat erhält den Sieg im Electoral College, eine antiquierte Art der Präsidentenwahl. Ich fürchte, Trump wird die Wahlen vor Gericht anfechten – Gerichte, für die er Sorge getragen hat, sie mit seinen Unterstützer*innen zu besetzen. Und ich befürchte, dass es keinen friedlichen Machtwechsel geben wird, ein Markenzeichen der vergangenen US-Wahlen.

Offenbar stehe ich mit meinen Sorgen nicht allein. Eine kürzlich von der American Psychological Association durchgeführte Umfrage ergab, dass 70 Prozent der befragten Amerikaner*innen über die Zukunft der Nation besorgt sind, und ebenso viele sagen, dies sei für sie der tiefste Punkt der US-Geschichte seit sie denken können. Ein Artikel der Washington Post berichtet, dass die Amerikaner*innen über Gewalt an den Urnen und nach den Wahlen besorgt sind. Eine meiner Freundinnen erhielt eine E-Mail von ihrem Chef, in der den Angestellten mitgeteilt wurde, dass sie sich Sorgen machen müssten.

Ich bin auch beunruhigt, weil Trump nie zu scheitern scheint. Nichts hält ihn auf. Er wird positiv auf Covid getestet; er wird in vier Tagen aus dem Krankenhaus entlassen. Er wird angeklagt (Amtsenthebungsverfahren); er bleibt im Amt. Er verdient Millionen, zahlt aber 750 US-Dollar an Steuern. Er finanziert einen Pornostar aber wird trotzdem von den christlichen Rechten geliebt.

An diesem Punkt sollte Joe Bidens Sieg eigentlich eine sichere Sache sein. Trump hat während einer Pandemie präsidiert, die fast 230.000 Menschenleben gefordert hat. Er sagte dem US-Journalisten Bob Woodward im Februar, das Virus sei ernst und tödlich, dann sagte er den amerikanischen Bürger*innen, es handele sich um eine Lüge. Die US-Arbeitslosenquote sank in diesem Monat auf 12,9 Millionen Menschen, nachdem sie im Frühjahr dieses Jahres mit 14 Millionen ihren Höchststand erreicht hatte, weil der Präsident nicht verstehen kann, dass eine gesunde Arbeitnehmerschaft eine produktive Arbeitnehmerschaft ist. Trump veranlasste die Trennung von 545 Kindern von ihren Eltern, als diese versuchten, die US-Grenze zu überqueren, versicherte aber der Öffentlichkeit, dass die Kinder glücklicher seien, weil sie gut versorgt seien.

Trump wurde in einem Amtsenthebungsverfahren angeklagt, weil er den ukrainischen Präsidenten aufgefordert hatte, Ermittlungen gegen seinen politischen Gegner, Joe Biden, einzuleiten. Trump befahl den Truppen der Nationalgarde, Tränengas auf friedliche Demonstranten vor dem Weißen Haus abzufeuern, damit er vor einer nahe gelegenen Kirche stehen und eine Bibel auf dem Kopf halten konnte. Er und seine Familie haben mit der Präsidentschaft Millionen verdient. Er hat es wiederholt versäumt, die weißen rassistischen Terroristengruppen zu verurteilen, und als das FBI eine inländische terroristische Verschwörung zur Ermordung der Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, aufdeckte, rügte Trump Whitmer, weil sie ihm nicht gedankt hatte. Er hat sich mit Diktatoren verbündet und Verbündete verloren. Zahlreiche ehemalige Trump-Mitarbeiter*innen haben und ihn als unfähig, ungeeignet und unmoralisch bezeichnet.

Ja, das sollte genügen. Aber vor vier Jahren hatte Trump Mexikaner als Vergewaltiger und Kriminelle bezeichnet, einen behinderten Reporter verspottet, Senator John McCain, einen ehemaligen Kriegsgefangenen, schlechtgemacht und in einer Videoaufnahme damit geprahlt, Frauen in den Schritt zu fassen, denn wenn man ein Star ist, lassen sie einen das machen. Und dennoch konnten offensichtlich 63 Millionen Menschen all das übersehen und ihm das höchste Amt im Land verleihen.

Trump hat die letzten vier Jahre damit verbracht, die Integrität des Wahlprozesses in Frage zu stellen, indem er unbegründete Behauptungen über Wahlbetrug aufstellte. Im Wahlkampf 2020 hat er angedeutet, dass die Wahl manipuliert ist, wenn er nicht gewinnt. Er hat versucht, die Briefwahl zu diskreditieren und schlug vor, die nach dem Wahltag ausgezählten Stimmen - auch wenn sie legal vor dem Stichtag am 3. November abgegeben wurden – nicht anzuerkennen. Die Washington Post hat berichtet, dass die von Trump ernannten Richter*innen mit größerer Wahrscheinlichkeit strengere Grenzen für die Stimmabgabe durchsetzen werden. Und Brett Kavanaugh, einer der drei von Trump seit seinem Amtsantritt ernannten Richter am Obersten Gerichtshof, schrieb kürzlich eine Stellungnahme, die die Ansicht des Präsidenten widerspiegelte, dass der Wahlsieger am 3. November erklärt werden sollte, unabhängig davon, ob alle Stimmen ausgezählt werden oder nicht.

Trump mag die Coronapandemie falsch gehandhabt, den Amerikanern nicht den vor vier Jahren versprochenen Gesundheitsplan geliefert, die rassischen Spannungen verschärft und die Einwanderungspolitik nicht reformiert haben, aber in einem Bereich war er erfolgreich: Er hat es geschickt verstanden, die Amerikaner gegeneinander aufzubringen. Ein paar persönliche Beispiele: Nicht lange nach der Wahl von Trump kommentierte ich einen Facebook-Post und dankte der New York Times für ihre Berichterstattung - ich weiß nicht mehr, ob die Geschichte überhaupt von Trump handelte. Eine Frau, die sich selbst als Unterstützerin bezeichnete, nannte mich eine Schlampe. Ich kommentierte einen Facebook-Post, dass ich eine freie Presse unterstütze. Ein Mann, den ich nicht kannte, nannte mich eine C***. Vor einigen Monaten verließ ich Twitter, weil man mich eine Schneeflocke, eine Libtard (Beleidigung, zusammengesetzt aus liberal und retard, Anm. d. Übersetzung) einen Linksradikale genannt hatte. Eine Frau sagte mir, wenn ich Trump nicht unterstütze, sei ich keine "echte Amerikanerin". Mehrere Männer sagten mir, wenn ich Trump nicht unterstütze, solltee ich mir ein neues Land suchen. Diese Leute kennen mich nicht. Sie kennen Trump nicht. Aber er ist ihr Held und sie sind bereit, jeden zu beleidigen, zu erniedrigen oder anzugreifen, der ihn in Frage stellt.

Trump ist ein 74-jähriger weißer Mann, der Sohn eines Millionärs, der selten für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wurde. Er hat schikaniert, seine Gegner*innen beschimpft, Leute entlassen, die sich nicht zu ihm bekennen wollten, und damit gedroht, politische Gegner*innen ins Gefängnis zu stecken. Er hat Macht inne und doch ist es ihm gelungen, die Amerikaner*innen davon zu überzeugen, dass er immer das Opfer ist und, dass sie, genau wie er, verfolgt bzw. verumglimpft werden. Trump hat eine solide, ihm verschriebene Basis - eine Sektenanhängerschaft. Seine Anhänger versammeln sich bei Kundgebungen, wo sie rufen und jubeln, Schulter an Schulter ohne Masken, die die Ausbreitung des Coronavirus verhindern könnten. Ihre Liebe zu Trump ist größer als ihr Wunsch, sich selbst und ihre Nachbarn zu schützen.

Früher hatte ich einen Job, der es mir erlaubte, ins Ausland zu reisen. Eines habe ich gelernt: Ganz gleich, wo wir leben, wir wollen alle das Gleiche: einen sicheren Ort zum Leben, ein gutes Leben für uns und unsere Kinder, einen Job, der uns hilft, genug zu verdienen, um frei von Sorgen und Armut, frei von Krankheit und Gewalt zu sein. Während dieser Reisen war ich immer stolz darauf, sagen zu können, dass ich aus den Vereinigten Staaten stamme, und ich kam dankbar für eine stabile Regierung nach Hause. Ich habe mich oft gefragt, wie korrupte Politiker in einigen der Länder, die ich besuchte, die Macht übernommen haben. Jetzt verstehe ich es. Schritt 1: Lüge, Lüge, Lüge. Schritt 2: Versammle eine Gruppe von Menschen, gib ihnen Macht, loben sie, wenn sie deine Lügen wiederholen. Schritt 3: Versammle eine Gruppe von Anhängern, die Ihre Lügen glauben.

Selbst wenn unser Land einen neuen Präsidenten bekommt, wird dies nicht sofort die enormen politischen Gräben beenden. Es wird nicht den Respekt zurückbringen, den ich für meine Familie und Freunde verloren habe, die beschlossen haben, dass sie Trumps Rassismus, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit, Heuchelei, Korruption und Lügen akzeptieren können, solange es der Wirtschaft gut geht.

Da sich die US-Wahlen nähern, versuche ich daran zu glauben, dass Trump nur eine Amtszeit als Präsident haben wird. Ich erinnere mich und meine Freund*innen im Ausland daran, dass 66 Millionen Amerikaner*innen nicht für Trump gestimmt haben. Ich erinnere sie daran, dass viele von uns sich gegen Trump ausgesprochen haben und dass viele Menschen gegen die Politik und das Verhalten von Trump vorgehen. Und ich erinnere mich daran, dass mehr als 90 Millionen Amerikaner*innen vorzeitig gewählt haben, um sicherzustellen, dass ihre Stimmen gehört werden.

Amerika ist ein Land, das weit davon entfernt ist, perfekt zu sein. Das haben mich auch immer wieder Menschen bei meinen Reisen ins Ausland wissen lassen. Unsere Geschichte ist durch Sklaverei und die Ermordung von Ureinwohnern Amerikas in dem Bestreben, den Westen "sesshaft" zu machen, befleckt. Ein ehemaliger Student aus Europa sagte mir einmal, dass er und viele andere Europäer die Vereinigten Staaten für ihr Konsumstreben, Kapitalismus und Militarismus hassen. "Sogar eure Unterwäsche ist schlecht", sagte er mir eines Tages im Seminar. "Oh, nein, nicht auch noch unsere Unterwäsche", antwortete ein Student.

Trotz der Versäumnisse unserer Regierung (und unserer Unterwäsche) gibt es in unserem Land gute Menschen, Menschen, die an die Ideale von Freiheit, Integration und Demokratie glauben. Am Dienstag entscheiden die Amerikaner, ob wir den Traum oder Trumps Alptraum annehmen.

Trumps Markenzeichen ist Hass. Ich habe es satt. Ich hoffe, andere Amerikaner*innen haben es auch satt.

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Barbara lebt in Kansas/ USA. Sie ist Schriftstellerin, ehemalige Autorin und Journalistin.

 

Übersetzt aus dem Englischen.

 

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