CORONA GRENZENLOS IM BLICK

Paola über die Situation in Kolumbien

3. Wie ist die Situation in deinem Land? / Wie nimmst Du die Situation in deinem Land derzeitig wahr?

Die derzeitige Situation in Kolumbien und in ganz Lateinamerika ist ohne Zweifel kritisch. Zumindest in unserem Land haben Entscheidungsträger drastische Maßnahmen nach Bekanntwerden der ersten Fälle ergriffen. In meiner Region wurde Mitte März ein verpflichtendes Kontaktverbot sowie eine Ausgangssperre erlassen. Nur Banken, Krankenhäuser oder Einzelhändler von lebensnotwendigen Produkten, z. B. Lebensmittel, Getränke oder Arzneimittel, mussten ihre Geschäfte nicht schließen. Derzeit dürfen wir nur ein Mal in der Woche für ein paar Stunden das Haus verlassen, und zwar nur um wichtige Dinge zu erledigen. In zahlreichen Städten und Gemeinden darf nur ein Familienmitglied pro Woche rausgehen. Wann genau jeder aus dem Haus darf, hängt von der letzten Zahl der Personalausweisnummer ab – eine für die kolumbianischen Bürger sehr wichtige Nummer. Dieses System wird als „pico y cédula“ bezeichnet und funktioniert ziemlich gut, da Kolumbianer bereits ein ähnliches System im Transportwesen nutzen. Verstöße gegen die Ausgangssperre werden mit einem Bußgeld von etwa 350 Euro sanktioniert. Nie habe ich die Straßen der Hauptstadt so vereinsamt gesehen, wie in den letzten Wochen.

Sowohl politisch als auch wirtschaftlich befindet sich Kolumbien in einem vollkommenen Ausnahmezustand. Der Preis für Öl und Kohle ist im Keller, was genau ins Herz der kolumbianischen Wirtschaft trifft. Das Land hat eine der traditionsreichsten Textil- und Modeindustrien des Kontinents und ist heute ein Modezentrum in Lateinamerika; mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze und mehr 6.000 Unternehmen zählen zu dieser Branche, darunter auch unser kleines Unternehmen Ferotex, welches sich durch innovative Produkte und Dienstleistungen auszeichnet. Gleichwohl befindet sich diese Industrie aufgrund der aktuellen Notlage in einer Zwickmühle. Aufgrund der Entwertung des kolumbianischen Peso sind z. B. die Kosten für Rohstoffe, die aus dem Ausland kommen und notwendig für die Produktion von Textilien in Kolumbien sind, in den Himmel geschossen. Außerdem ist die Nachfrage nach Textilprodukten national wie international komplett eingebrochen. Das hat dazu geführt, dass sogar große Unternehmen ihre Produktion stilllegen oder ihre Türen schließen mussten – zumindest vorübergehend. Allerdings gibt es keine Alternative, um die Anzahl der Infektionen zu reduzieren und das Gesundheitssystem in dieser außergewöhnlichen Lage nicht zu überfordern. Auch wenn wir die Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit selbstverständlich vollkommen unterstützen, fragen wir uns, wie lange wir noch in dieser Situation ausharren müssen. Ohne die Möglichkeit, Umsatz zu generieren, werden viele Unternehmen aus unserer Branche nicht in der Lage sein, die laufenden Kosten, wie Gehälter, Mieten oder Kredite, zu decken. Hier können schon wenige Wochen entscheidend sein. Und davon hängt die Existenz einer großen Anzahl an Familien in Kolumbien ab, nicht zuletzt von meiner. In einem Land wie Kolumbien, welches lange Zeit auf den Frieden warten musste, bringt die aktuelle Lage große Herausforderungen mit sich. Auch wenn wir hier bereits in der Vergangenheit Erfahrungen mit dem Zika- und dem Chikungunya-Virus gesammelt haben, hat das neuartige Corona-Virus das Leben von Millionen von Kolumbianern auf den Kopf gestellt.

Übersetzt aus dem Spanischen

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