CORONA GRENZENLOS IM BLICK

Paola aus Kolumbien über Überraschungen

11. Was hat dich verwundert/ positiv überrascht / womit hättest Du nicht gerechnet / gab es skurrile Erlebnisse?

Ich hätte nie ahnen können, dass während meines Lebens eine solche Situation vorkommen könnte. Als Kolumbianerin bin in einem Land aufgewachsen, das über Jahrzehnte von Unsicherheit und Gewalt geprägt war. Meine Landsleute haben gelernt, stets auf das Ungewisse eingestellt zu sein. Die Covid-19-Pandemie hat jedoch meine Vorstellungskraft völlig gesprengt.

Die Krise hat mich, so wie viele andere, kalt erwischt. Nun bereitet mir nicht nur die Gegenwart, sondern vielmehr die Zukunft manchmal schlaflose Nächte. In einem meiner vergangenen Beiträge auf dem global-corona.blog habe ich am Rande einige wirtschaftliche Risiken angeschnitten, insbesondere für die Textilindustrie. Inzwischen, einige Wochen später, kann ich aus Kolumbien nicht unbedingt bessere Nachrichten berichten. Fast 40 tausend positiv getestete und über 1300 Todesfälle machen mich sprachlos. Insbesondere aber die Tatsache, dass trotz drastischer Maßnahmen der Politik und der Behörden, die Fallzahlen weiterhin rasch ansteigen, ist besonders erschreckend. Hier ist aber Vorsicht geboten: Es wäre ein Fehlschluss von einer Wirkungslosigkeit der Beschränkungen auszugehen. Ganz im Gegenteil, in vielen Ländern lässt sich der Rückgang der Infektionszahlen auf das konsequente staatliche Handeln zurückverfolgen. Ich habe aber das Gefühl, dass die Akzeptanz der neuen Regeln auch sehr davon abhängt, in welchem Land man sich befindet.

Für viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer war der Alltag schon vor Corona von einer gewissen Perspektivlosigkeit begleitet. Während der Pandemie, im Laufe der Tage und Wochen, wird immer deutlicher, dass immer weniger Mitbürgerinnen und Mitbürger sich an die Beschränkungen halten, weil sie sich das eben schlicht und einfach nicht mehr leisten können. Die ablehnende Einstellung der letzten Wochen scheint langsam in Protest umzukippen. Erst am Wochenende haben Unruhen am Hauptmarkt Bogotás „Codabastos“ für Schlagzeilen gesorgt, wo hunderte Personen, insbesondere Bauern und Tagelöhner, einen spontanen Protest einberiefen und ihrem Ärger Luft machten. Die Unzufriedenheit und die Angst machen sich breit in unserer Gesellschaft. Dies kriege ich selbst aus meinem Bekannten-, Freundes- und Familienkreis mit.

Zur gleichen Zeit hat mich aber der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft sehr überrascht und gibt mir Hoffnung. Wir leben alle von Tag zu Tag und versuchen uns gegenseitig zu helfen. Aus meiner Perspektive stellt die derzeitige Krise trotz der Umstände eine Chance für alle dar, über unsere Rolle in der Gesellschaft zu reflektieren. Immer mehr Menschen solidarisieren sich in Nachbarschaftshilfen, die insbesondere zur Lebensmittelversorgung vieler Familien beitragen. Viele kolumbianische Unternehmen versuchen ihrer sozialen Verantwortung nachzukommen, z.B. durch Hilfslieferungen. Viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer arbeiten jetzt für einen gemeinsamen Zweck. Genau das ist ein Treiber von Innovation, um praktische und alltagstaugliche Lösungen zu finden, die auch Leben retten können. Dies hätte ich zu Beginn der Pandemie nie erwartet.

Übersetzt aus dem Spanischen.

Mehr zu Paola erfährst Du hier.

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